Monat: September 2025

  • Wenn Kinderschutz zu spät kommt – warum wir früher anfangen müssen

    Es war ein ganz gewöhnlicher Freitag. Und plötzlich saß ich in einem Elterngespräch, in dem es um Grenzverletzungen ging.
    So etwas wirft nicht nur Eltern aus der Bahn, sondern auch Fachkräfte. Es fühlt sich an, als würde einem der Boden weggezogen.

    Und genau in diesem Moment habe ich wieder gespürt:
    Kinderschutz darf nicht erst anfangen, wenn etwas passiert ist.


    Kinderschutz ist Prävention

    In vielen Teams beginnt die Auseinandersetzung mit Kinderschutz erst dann, wenn ein konkreter Verdachtsfall im Raum steht.
    Dabei zeigt die Praxis: Das ist zu spät.

    Kinderschutz bedeutet nicht nur, Gefährdungen abzuwenden – sondern vorher Räume zu schaffen, in denen Kinder, Eltern und Fachkräfte über Gefühle, Körper, Nähe und Distanz sprechen können.

    Wer Worte hat, kann sich anvertrauen, Hilfe holen und „Nein“ sagen.


    Mikrotransitionen als Schlüsselmomente

    Schon in der Kinderkrippe gibt es unzählige Mikrotransitionen – Wickelsituationen, Umziehen, Helfen beim Toilettengang.
    Diese scheinbar alltäglichen Momente sind Schlüssel für Beziehung und Schutz.

    Wenn Fachkräfte diese Übergänge bewusst gestalten – mit Respekt, Sprache und achtsamem Umgang – erleben Kinder, dass ihre körperlichen Grenzen gesehen und geachtet werden. Das stärkt das Urvertrauen.


    Doktorspiele und Neugier in der Kita

    Kindliche Sexualität ist neugierig, verspielt, forschend. „Doktorspiele“ gehören dazu.
    Für Fachkräfte ist es entscheidend, hier weder zu tabuisieren noch zu verharmlosen.

    Das bedeutet: Räume schaffen, beobachten, begleiten, aufklären.
    Studien zeigen, dass Kinder, die gelernt haben, über Körper und Gefühle zu sprechen, deutlich besser geschützt sind vor Übergriffen (vgl. Bange & Deegener, 1996).


    Aufklärung der Eltern – ein gemeinsamer Auftrag

    Viele Eltern erschrecken, wenn sie das erste Mal von „Doktorspielen“ hören. Manche reagieren mit Scham, Abwehr oder Verharmlosung.

    Genau hier braucht es fachliche Begleitung und Aufklärung:

    • Kindliche Sexualität ist normal.
    • Es gibt klare Grenzen.
    • Eltern sind Teil des Kinderschutzes – nicht Zuschauer.

    Biografiearbeit der Fachkräfte

    Ein oft übersehener Punkt: die eigene Geschichte der Fachkräfte.

    Wer als Kind selbst wenig Sprache oder Unterstützung für das Thema Sexualität hatte, trägt Unsicherheiten in die eigene pädagogische Arbeit hinein.
    Biografiearbeit ermöglicht, diese Muster zu erkennen und sicherer mit den Fragen der Kinder umzugehen (vgl. nifbe – Adultismus).


    Täterstrategien verstehen

    Echter Kinderschutz bedeutet auch, Täterstrategien zu verstehen.

    Studien zeigen: Täter*innen nutzen gezielt Tabuisierung, Geheimhaltung und das Schweigen der Erwachsenen aus (vgl. Deegener & Körner, 2005).

    Je besser Fachkräfte und Eltern diese Muster kennen, desto leichter können sie Warnsignale erkennen und Kinder stärken.


    Zahlen und Fakten

    • In Deutschland erleben laut Bange/Deegener (1996) ca. 10–20 % aller Kinder sexuelle Gewalt.
    • Die meisten Übergriffe passieren im nahen sozialen Umfeld.
    • Nur ein Bruchteil der Fälle wird angezeigt – und oft viel zu spät.

    Diese Zahlen zeigen: Schweigen schützt die Falschen.


    Worte schenken – Schutz ermöglichen

    Wenn Kinder lernen, ihren Körper zu benennen, Gefühle zu äußern und Nein zu sagen, sind sie weniger anfällig für Täterstrategien.
    Wenn Fachkräfte lernen, über Grenzverletzungen zu sprechen, können sie handeln, ohne in Ohnmacht zu fallen.
    Wenn Eltern Sprache und Wissen an die Hand bekommen, können sie ihre Kinder stark machen.

    Kinderschutz heißt: Wir schenken Worte, damit Kinder sich schützen können.


    Fazit

    Kinderschutz ist mehr als ein Notfallplan.
    Er ist eine Kultur der Prävention – in jeder Wickelsituation, in jedem Aufklärungsgespräch, in jeder Teamreflexion.

    Er ist unbequem, weil er Tabus berührt. Aber genau das macht ihn so wertvoll.

    Und wenn es doch zu einem Fall kommt, dann zeigt sich: Prävention war nie „zu viel“, sondern immer die beste Investition in echte Sicherheit.


    Quellen & Lesetipps


    Und bei dir?

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    Was wäre, wenn das nicht falsch wäre – sondern eine Einladung an dich, hin zu fühlen?

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  • Wenn Du Verantwortung für Deine Erschöpfung übernimmst

    Es war einer dieser Morgen, an denen ich nicht wusste, wohin mit mir.
    Die innere Unruhe war da, bevor ich sie benennen konnte.
    Mein Sohn ist zur Schule gegangen. Ich hatte noch eine Stunde bis zur Arbeit – und plötzlich diese Leere.
    Nicht die stille, kraftvolle.
    Sondern die, in der ich am liebsten flüchten würde. In Serien. In Spiele. In Projekte. In irgendwas.

    Aber ich blieb.
    Ich schaute aus dem Fenster.
    Die Weide bewegte sich im Wind.
    Sanft. Unaufgeregt.
    Und ich spürte – ich bin da.
    Nicht produktiv. Nicht hilfreich. Nicht stark.
    Einfach nur da.

    Was das mit meiner Arbeit als pädagogische Fachkraft zu tun hat?

    Alles.

    Denn genau diese Stunden sind es, die wir oft übergehen.
    Wir, die „Starken“. Die mit dem Plan. Die, die auffangen.
    Die schon auf dem Weg in den Dienst den Kopf voller Listen haben:

    • Wer fällt heute aus?
    • Wie viele Kinder sind in welcher Gruppe?
    • Was tun wir, wenn das neue Kind wieder weint?
    • Wie wird die Leitung reagieren?
    • Wer meidet heute wieder wen im Team?
    • Reicht meine Kraft bis 16 Uhr? (oder darüber hinaus?)

    Und dann fühlen wir uns schlecht, wenn wir kurz nichts fühlen.
    Oder zu viel.
    Oder nicht das „Richtige“.
    Wenn wir in der Garderobe stehen und uns leer vorkommen.
    Wenn wir uns fragen, ob wir „noch gut für die Kinder“ sind.

    Vielleicht bist du gerade an genau so einem Punkt.
    Zwischen Verantwortungsgefühl und Erschöpfung.
    Zwischen „Ich will doch nur Gutes tun“ und „Ich kann nicht mehr.“

    Ich will dir sagen:
    Du bist nicht allein.
    Und du bist nicht weniger wert, wenn du nicht funktionierst.

    Manchmal ist es heilsam, einfach eine Weide zu beobachten.
    Einen Tee zu machen.
    Zu merken:

    Ich bin da.
    Ich atme.
    Und das reicht für diesen Moment.

    Was wäre, wenn wir in unseren Teams nicht nur über Konzepte reden würden,
    sondern auch über genau solche Pausen?
    Über die kleinen Fluchten. Die Scham. Die Müdigkeit.
    Und den Mut, ehrlich zu sagen: „Ich kann gerade nicht. Aber ich bin da.“

    Ich fange hier an.
    Mit diesem Text.
    Weil ich weiß, dass Wahrheit leise heilt.
    Und dass wir gerade in Zeiten von Fachkräftemangel, Überlastung und Systemdruck
    eine neue Kultur brauchen:

    Eine Kultur der inneren Erlaubnis.
    Eine Kultur, in der auch die Weichheit zählt.
    Und das Nicht-Wissen. Und das Mensch-Sein.

    Vielleicht willst du diesen Text gerade nur überfliegen.
    Vielleicht liest du ihn beim Kaffee in der Pause.
    Vielleicht sitzt du weinend im Büro oder genervt auf dem Klo.

    Egal wo du bist –
    du bist nicht falsch.

    Und du musst dich nicht beweisen, um pädagogisch wertvoll zu sein.
    Du darfst einfach mal nur du sein.

    Von Herz zu Herz,
    Susi


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